Ju Kengo: Oli, du hast im Ju Kengo als Weißgurt angefangen und bist relativ zügig zum Schwarzgurt gekommen – wie hast du das geschafft?

Oliver Rüther: Ich habe schon mal als Jugendlicher Karate gemacht, von 13 bis 17. Dann habe ich jede Menge Sport ausprobiert, alle möglichen Fun-Sportarten, viel Windsurfen, bis ich mit 30 wieder beim Karate angekommen bin. Karate ist einfach meins – das habe ich gemerkt. Und durch meine Trainingszeit als Jugendlicher, war es dann fast wie Fahrradfahren. Manche Bewegungen verlernt man einfach nicht.

Wenn du sagst, Karate ist „deins“, was heißt das genau?

Karate ist für mich dauernd Thema, nicht nur im Training. Heute morgen beispielsweise, da bin ich vor dem Duschen erst einmal eine Kata gelaufen. Zum Wachwerden. Es ist einfach mehr als ein Hobby, Karate ist kein Federball. Es gehört in meinen Alltag, es gehört in mein Leben – es ist auch in Gedanken immer dabei. Du erlebst deinen Körper sehr intensiv, ich bin sowieso ein Bewegungsjunkie. Aber es verbindet auch Körper und Seele. Auf Facebook habe ich den Spruch gelesen: „Ich brauche keine Therapie, ich mache Karate“ – da ist schon was dran.

Du trainierst ja zur Zeit die Anfängergruppe – da geht es ja erst mal um einen Einstieg in Karate …

Den Anfängern will ich natürlich vermitteln, was das für eine tolle Sache ist, auf die sie sich eingelassen haben. Sieht man Karate in erster Linie als Sportartart, dann bietet sie uns ein ziemlich allumfassendes Training. Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit etc.  – das Einzige, was vielleicht nicht so trainiert wird, ist die Langzeitausdauer. Ich will gerade den Anfängern zeigen, was sie von Karate haben können, damit sie entscheiden können, ob sie bleiben.

Gibt es denn Leute, denen du vom Karate abraten würdest?

Nun ja, wer ernsthaft Probleme mit anderen Menschen hat, Kontaktprobleme, der wird es im Karate schwer haben. Aber andererseits kann Karate natürlich ein Weg sein, solche Schwierigkeiten zu überwinden. Trotzdem sollten auch schon Anfänger wissen, dass es beim Karate ums Kämpfen geht – wenn auch mit hoher Kunstfertigkeit und Ästhetik.

Was ziehst du für dich aus dem Training, das du gibst?

Wenn du anderen was beibringst, beschäftigst du dich automatisch in einer anderen Tiefe damit. Das bringt mich auch in meinem Karateweg weiter. Außerdem ist da natürlich die Resonanz, die du erfährst. Wenn nur einer dabei ist, der genau das tut was ich sage, der motiviert ist, sich weiter entwickelt und mit Freude übt, dann gibt mir das schon sehr viel zurück.

Auch bei den Anfängern legst du schon viel Wert auf Etikette. Warum ist dir das so wichtig?

Etikette gehört zum Karate einfach dazu, sie gibt dem ganzen einen Rahmen, Halt und ja, auch eine gewisse Würde. Wir müssen uns ab und zu vergegenwärtigen, wo die Wurzeln dessen liegen, was wir praktizieren. Es geht um Kampfkunst, genauer gesagt in letzter Konsequenz um die eine finale Technik, die einen Kampf beendet. Das hat schon eine ziemliche Tragweite, die nach Ritualen und Konzentration verlangt. Wir trainieren Techniken, die einen Gegner ernsthaft verletzen können. Da gehört Kichern und Labern einfach nicht dazu.

Was hilft dir bei der Konzentration?

Jede Stunde beginnt im Karate ja mit einer kleinen Meditation. Nur ein, zwei Minuten die Augen schließen und ankommen. Die Parkplatzsuche, der Stress im Job, all diese Alltagsdinge können dann weichen und die ganze Aufmerksamkeit wendet sich Karate zu. Das finde ich wichtig und für mich auch ein Stück Psychohygiene.

Wie gehst du damit um, dass man im Karate nie Vollendung erreicht?

So ist Karate, du kannst nie alles erreichen. Selbst Shotokan Karate ist ja nur ein Bruchteil von dem, was es alles an Karate-Stilen und –Philosophie gibt. Du kommst nicht an, dafür ist ein Leben zu kurz. Das hat etwas Erdendes, du lernst Respekt und Demut. Aber wer mich kennt weiß, dass diese Erkenntnis eine große Klappe und auch Humor nicht ausschließt.